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Highlight! - Ein wenig Leben

Titel: Ein wenig Leben

Autorin: Hanya Yanagihara

Genre: Zeitgenössischer Roman

Verlag: Piper / Hanser

Seitenanzahl: 960 Seiten

Preis: 28€ (HC) / 16€ (TB)

Cover:

Viele mögen es nicht besonders, ich hingegen liebe es, denn es drückt genau den Schmerz aus, der das gesamte Buch und mein Herz beim Lesen vereinnahmte. Dabei ist es jedoch zugleich auch ästhetisch. Schmerzlich- schön - besser könnte man das Buch wohl nicht treffen und beschreiben. 

 

Inhalt:

Jude, JB, Willem und Malcolm: Vier New Yorker, die sich am College kennengelernt haben. Jude St. Francis, brillant und enigmatisch, ist die charismatische Figur im Zentrum der Gruppe – ein aufopfernd liebender und zugleich innerlich zerbrochener Mensch. Immer tiefer werden die Freunde in Judes dunkle, schmerzhafte Welt hineingesogen, deren Ungeheuer nach und nach hervortreten.

 

Meine Meinung:

Ein wenig Leben ist wohl eines der am meisten diskutierten und ebenfalls am meisten gefürchtetsten Büchern der Buchszene. Auch ich hatte vor Beginn etliche Warnungen gehört- lies die Trigger Warnungen Online, lies es nur mit einem Stapel Taschentücher, lies es gar nicht, es ist zu traurig- sind einige von vielen Aussagen, die online über den Roman kursieren. Nachdem das Taschenbuch 2018 erschien und ich im anfänglichen Hype sofort danach griff, stand es nun doch bis vor einer Woche unberührt in meinem Regal. Beinahe eintausend Seiten sind dann doch ein wenig einschüchternd und kosten trotz Stephen King Erfahrung ein wenig Überwindung. Letztlich habe ich es am 1. August dann doch in die Hand genommen und mir gesagt: "Hey, na kann, lies es wenigstens einmal an.". Von da an sollte ich eine Woche mit "Ein wenig Leben" verbringen. Eine Woche, die mir im Nachhinein vorkommt wie eine Ewigkeit und ein einziger Wimpernschlag zugleich. Doch ich möchte von vorne beginnen...

 

Der Schreibstil ist ein Meisterwerk, dies merkte ich direkt zu Beginn. So bin ich ein großer Fan von etwas längeren, gerne auch mal verschachtelten Sätzen, insofern sie dennoch übersichtlich und lesbar bleiben, was genau hier der Fall ist. Dazu kommt eine Sprache, die zugleich poetisch-emotional und rational-nüchtern wirkt, eine Kombi die für den Inhalt des Buches genau richtig ist. 

Die Art des Storytellings war ebenfalls ganz besonders. So erleben wir Judes Leben sowohl aus der Gegenwart, in der wir ihm von seinen Zwanzigern aus über mehrere Jahrzehnte folgen, als auch der Vergangenheit. Soweit nichts neues, jedoch ist die Auswahl der Abfolgen hierbei sehr geschickt gewählt, aber ganz besonders die gewählten Ausschnitte, die wir miterleben durften. So verspürte ich sehr oft das Verlangen eine bestimmte Stelle nun genauer miterleben zu wollen, mehr Details zu benötigen und habe mir erhofft, dass genauer auf ein Ereignis eingegangen wird, doch genau dann streckt die Autorin die Zeit  und danach erzählt zu einem späteren Zeitpunkt weiter. Der Moment ist vergangen. Andere Stellen hingegen, die auf mich eher nebensächlich wirkten, werden plötzlich zum Zentrum des Geschehens, ganz ausführlich und bekommen dadurch einen völlig neuen Wert beigemessen. Was andere nun möglicherweise stören wird, erschien mir beim Lesen so unglaublich brillant, mit so viel Raffinesse und Feingefühl aufgefädelt, das ich jedesmal wieder aufs Neue erstaunt und begeistert wurde. 

Die Geschichte selbst stellte sich dabei inhaltlich als ein Besuch auf dem Rummel heraus, wobei dieser jedoch sehr wenige Momente des Zuckerwatte Essens und Achterbahnfahrens aufwies, dafür umso mehr einem Free Fall Tower ähnelte, der einen kurzen Weg nach oben fährt, dort für einen Augenblick verharrt in dem man sich in trügerischer Sicherheit wägt, nur um kurz darauf wieder schier endlos in die Tiefe zu stürzen. Wieder und wieder und wieder. 

Ich habe dabei geweint, ständig, hässlich und echt und mit jeder vergossenen Träne, rückte das Buch ein stückweit mehr in mein geschundenes Herz, bluteten seine Worte aus und erfüllten mich. 

"(...) Bücher logen, sie beschönigten die Wahrheit"(S.882), heißt es in dem Roman. Genau dies tut "Ein wenig Leben" jedoch nicht, zu keiner Zeit. 

Auch wenn im Grunde nicht sehr viel passiert und auf den 960 Seiten keinesfalls spannungsgeladene Action oder ähnliches erwartet werden kann, schaffte es Yanagihara dennoch von Beginn an mein Interesse zu wecken und mit der im Grunde simplen, aber doch so schrecklich-schmerzhaften Lebensgeschichte vierer Freunde zu fesseln, wie es die meisten Thriller in meiner Lesezeit bisher nicht geschafft haben. 

Jude und Willem schloss ich dabei ganz besonders in mein Herz, litt und fieberte durchwegs mit ihnen mit, während JB und Malcolm ebenfalls ihre Rollen besaßen, für mich jedoch eher im Hintergrund spielten. Umso mehr ich über Jude erfuhr, desto mehr begann ich mich in der Geschichte gefangen zu fühlen, mehr erfahren zu müssen und obwohl dies stets mit einem schweren Herzen geschah, konnte ich dennoch auch lächeln und eines ganz besonders - lernen. Lernen vom und fürs Leben. So gab mir das Buch neben großen Emotionen auch einige neue Einsichten mit, die sich für mich zwischen den Seiten entfalteten. 

 

Nein, ich bereue es nicht das Buch gelesen zu haben, auch wenn es größtenteils weh tat. Nicht eine einzige Seite fühlte sich überflüssig an, nicht eine Minute meiner Lesezeit vergeudet. Ich gehe verändert aus der Lektüre hervor und so tut es mein Gefühl für Bücher und das Lesen. Kein Buch hat mir jemals so deutlich vor Augen gehalten, wie viel Macht Bücher über ihre Leser haben können und wie sie diese langsam aber sicher von innen umkrempeln und neu aufrollen. "Ein wenig Leben" hat dies  mit mir getan. Und ich könnte nicht dankbarer dafür sein. 

 

! Ich empfehle dringend die Triggerwarnungen online nachzuschlagen, insofern man diese benötigen könnte. Das Buch beinhaltet sehr sehr sehr viel Trauma und mögliche Trigger, worüber sich der Leser bei eigenen mental health Problemen zuvor im Klaren sein sollte. Allerdings spoilern die Warnungen natürlich auch einiges, da der Hauptfokus ja auf eben jenen Ereignissen liegt !

 

Fazit:

Eine Lektüre, die sicherlich nicht für jeden geeignet ist. Für jene, die sich allerdings daran wagen, ist "Ein wenig Leben" ein Roman, der niemals mehr loslassen wird. 

Nicht nur mein Jahreshighlight, sondern auch das beste Buch, das ich bisher jemals gelesen habe. Hanya Yanagihara ist eine Göttin auf ihrem Gebiet und weiß nicht nur mit Worten, sondern auch mit jeder Emotion der Palette des Lebens perfekt umzugehen. Ihre weiteren Bücher werde ich mir definitiv ebenfalls zulegen. Ich bin noch immer gefesselt und ertappe mich dabei, wie ich über Jude nachdenke - und es wohl noch lange tun werde. 

Ich vergebe demnach selbstverständlich 5/5 Sterne.

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